Einer der bekanntesten Sätze der Bibel stammt aus dem Buch Levitikus: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ (Lev 19,18). Weniger vertraut ist die Tatsache, dass nur einige Verse später dieselbe Liebe gegenüber dem Fremden gefordert wird (Lev 19,33–34). Für viele Menschen ist das dritte Buch der Tora des Mose mit seinen Ausführungen zum Opfergottesdienst, den Reinheitsvorschriften und ethischen Forderungen eine terra incognita. Und doch hat das Buch Levitikus durch die in ihm verborgenen Idealvorstellungen von Gott, von den Beziehungen zwischen Gott und Mensch sowie zwischen Mensch und Mensch die Kultur und die Werte der westlichen Welt weitreichend geprägt. Im Judentum wird es an zehn Schabbaten im Jahr hintereinander auf Hebräisch in der Synagoge vorgelesen und zahlreiche Vorschriften der Halacha (des jüdischen Religionsgesetzes) beziehen sich darauf. Im Christentum wird so gut wie nie daraus gelesen oder darüber gepredigt, trotzdem stammen zentrale Aspekte christlicher Theologie aus Konzepten, die ihre Grundlegung in Levitikus erhalten.
Für diejenigen, die sich in die innere Logik dieses antiken Buches, das zwei Weltreligionen als „kanonisch“ ansehen, hineindenken wollen, gibt der vorliegende Kommentar Hilfestellungen und neue Lesevorschläge. Vieles ist aus bisherigen Kommentierungen zusammengetragen, kritisch gesichtet und bewertet; manches ist neu und wird als Empfehlung für eine so noch nicht unternommene Lektüre und Verständnisweise unterbreitet.